Museum Brittnau Chronik Stephan Kunz-Suter, 1823-1888 1 | 43 Chronik Stephan Kunz-Suter, 1823-1888 Lehrer und Dorfchronist Der Text wird Wortwörtlich abgeschrieben. Korrekturen werden nur angewendet, wenn es für die Verständigung notwendig ist. Änderungen in der Übersetzungen und Korrekturen werden gemacht, wenn die damalige Schreibweise nicht der heutigen entspricht. Zum Beispiel wird die Schreibweise „th“ in „t“ oder „zz“ in „tz“ in den Wörtern auf die neuzeitliche Schreibweise angepasst und abgeändert. Band 2 / I. Teil (00_Band 2_Untertitel) Stephan Kunz Chronik von Brittnau Zweiter Band in drei Teilen (0_Band 2_Inhaltsverzeichnis_B2_Teil I) Inhaltsverzeichnis I. Teil Gedichte 1 - 36 Das Gebet des Kindes - 37 Aufmunterung zur Abhaltung eines Jugendfestes 38 - 49 Jugendfestprogramm 1864 49 - 50 Festrede 51 - 57 Gedichte 58 - 79 Abschied der Elisabeth Widmer von ihrem Vater Samuel Widmer „Stöcklisami“ von Brittnau, als sie nach Amerika auswanderte. 1865 80 - 81 Entwurf eines Schreibens an den tit. Gemeinderat Brittnau um Aufbesserung der Besoldung des Sigristen … 82 - 86 Antwort auf vorstehende Fragen (Falsch paginiert) 85 - 86 Entwurf einer Instruktion für den Totengräber 87 - 99
Museum Brittnau Chronik Stephan Kunz-Suter, 1823-1888 2 | 43 Gedichte (B2_T1_S.001) 1. Sehnsucht nach der Heimat. 1. Ich möchte heim ins liebe Dörfchen, Wo ich als Kind umher gehüpft Wo och in manchem frohen Stündchen Manch Blumensträusschen hab gepflückt. 2. Ich möchte heim zu meinen Lieben, Zu Eltern und Geschwistern gehen. O wäre ich daheim geblieben, Dann könnte ich sie täglich sehn. 3. Ich möchte heim zu den Gespielen, Möchte droben auf dem Kührain stehn. Mit den Freunden möchte ich spielen Möchte ins Dorf hinunter sehn. 4. Ich möchte heim, weil ich am Abend, So gern ein Pfeifchen Taback rauch. Wenn vor dem Hause sich erlabend, Der Nachbar sitzt nach Landesbrauch. ---------------------------------------------------------------------------------- (B2_T1_S.002) 2. Liebesbekenntnis 1. In des Herzens tiefstem Grunde Lodert hoch zu jeder Stunde Meiner Liebe heisse Glut, Und bestärkt den sachwachen Mut. In der Liebe Arm sich wiegen,$ Und an deine Brust sich schmiegen, Ist ein grosses sel‘ges Glück, Kehre oft und bald zurück. 2. Deiner Augen klarer Sterne Leuchten mir aus weiter Ferne, Und dein schöner Rosenmund, tut mir deine Treue kund. Möchte dich bald wieder sehen, Und in deiner Nähe stehen: Schmiegen mich an deinen Brust, Küsste dich nach Herzenslust. ----------------------------------------------------------------------------------
Museum Brittnau Chronik Stephan Kunz-Suter, 1823-1888 3 | 43 ---------------------------------------------------------------------------------- Brittnau 1882 Samstag den 24. April 18??. Mittags 12 Uhr, brannte im Hard dem Friederich Wälchli, „Aerni Davijoggelis“, Spycher nieder. Er war ganz von Holz gebaut. Er wurde von Theophiel Kunz, Schuster, Posammenters, bewohnt. Brandursache unbekannt. Soll jedoch der Brand infolge Brotbackens entstanden sein, da das Kamin nicht mehr feuerfest oder schadhaft war. Von der Fahrhabe konnte fasst nichts gerettet werden. Oftringen 1882 Am 27. April, Nachts um 2 Uhr wurden die beiden Strohhäuser das eine der Witwe Häusermann, das andere dem Jakob Graber, Metztger, in der Langern, ein Raub der Flammen. Kein Wasser. Zwei Kühe sind in den Flammen geblieben. Brandursache unbekannt. Wie gewöhnlich ---------------------------------------------------------------------------------- (B2_T1_S.003 - 004) 3. Abschied vom Liebchen 1. Keine Liebe weiht ich Deines kalten Herzen, Und Du empfandst nicht die brennend heisse Glut. Fühlen sollst Du die unnennbaren Schmerzen, Die unerkannte Liebe einem Herzen tut. 2. Nicht erkanntest Du wie innig ich Dich liebte, Wie hoch mein Pulks für Dich o holde, Liebe schlug. Teure Maid, die ich so heiss und innig liebte, Stets für Dich ein liebevolles Herzen trug. 3. Ich denke stets an diese flücht‘gen süssen Stunden, Darin ich fühlte süsse Wonne, Seligkeit. Sie sind dahin, alle seid verschwunden. Nimmermehr kehrst Du, du schöne golden Zeit. 4. Lebewohl! und wandle stets auf Blumenpfaden. Finde Glück in reichem, vollen Masse Du Du nur, zerreisst den feinen zarten Liebesfaden. Doch stärkt mich noch süsser Schlaf und sanfte Ruh. 5. Nach der lieben teuren Heimat will ich wallen. Glücklich ja doch keine treue Liebe hier. Keine bunten Blumen werden für mich fallen, Keine Abschiedsträne wird man weihen mir.
Museum Brittnau Chronik Stephan Kunz-Suter, 1823-1888 4 | 43 6. Du wirst meiner suchen ewig zu vergessen, Doch wirst Du noch – stehst Du auch an meinem Grab, Weihst keine Träne mir – Doch wissen zu ermessen, Fühlen auch, wie treu ich Dich geliebt hab. Entwürfe zu weiteren Strophen im obigen Gedicht 1. Du kannst von vornher mich und rückwärts lesen, In beiden Fällen gleich ich mir, Und bist Du nicht auf falscher Spur gewesen So nennet selbst ein Fluss sich Dir 2. Du kannst von vorneher mich und rückwärts lesen In beiden Fällen gleich ich mir. Und biss du nicht auf falscher Spur gewesen So nennet stets ein Weib sich dir 3. Du kannst von vorneher mich oder rückwärts lesen In beiden Fällen gleich ich mir Und bist du schon auf der See gewesen So brauch ich mich nicht zu erkennen geben dir. ---------------------------------------------------------------------------------- (B2_T1_S.004 - 006) 4. Erinnerung. 8.8.1851 1. Nun bin ich hier in deiner holden Nähe, Und freue mich dich wiederum zu sehen. Doch ob ich wohl am Fenster steh und spähe, Siehst du mich nichts vor deiner Türe stehen. O nein, du siehst mich nicht, du hast mich nicht erkoren, du reichst mir nicht mehr deine zarte Hand. So hast du es vielleicht bei dir geschworen. So lebe wohl, leb wohl im Heimatland. 2. Nicht bist die erste Blume hier auf Erden, die ich geliebt. Die letzte wird es sein. Auch keine wird der Liebe würdig werden, Mein Leben wollt ich einzig dir nur weihen. Du warst die Freude mir in allen meinen Stunden. Warst meine sel’ge Lust in Traurigkeit. Nun ist mein Glück dahin, ach ja verschwunden, Verschwunden ach für lange, lange Zeit. 3. Nun will ich einsam durch das Leben gleiten, Ganz einsam nur mit Schmerz und Gram erfüllt.
Museum Brittnau Chronik Stephan Kunz-Suter, 1823-1888 5 | 43 Die Arme nur nach deinem Bild ausbreiten, Das einzig nur des Auges Tränen stillt. Wie wohl mir war an deiner trauten Seite. Ich büss es jetzt mit tausendfachem Schmerz. Und wo ich geh in Nähe oder Weite Da blutet stets mein krankes wundes Herz. ---------------------------------------------------------------------------------- Randnotizen Orang-Utans1 gleichen dem Menschen am Meisten und hat auch die Grösse desselben. Prügelt Tiere und Menschen. Stiehlt … Vorderfüsse oder Arme sehr lang. Gang bisweilen aufrecht. Corneo Cochinchina Malocka. In Familien. Nester auf Bäumen. Gesicht runzelig. Ohren wie Mensch. Träg und scheu. ---------------------------------------------------------------------------------- (B2_T1_S.007 - 008) 5. Sehnsucht nach Staufen 1. Herz mis Herz warum so traurig? Und was soll das Ach und Weh? S’ist so schön im Heimatland! Herz mis Herz was fehlt dir meh? 2. Was mir fehl? Mir fehlt jo Allea! Ha jo kene Freude hie! Sigs au schön im Heimatlande, Doch zu Staufen wird es nie. 3. Ach nach Staufe möchte i wieder, Aber bald, o bald, o gli! Möchte bim Anne, möchte bim Nettli Möchte bis Webers wieder si! 4. Wieder gseh die neue Hüser, Und zu alle Lüte goh. D‘ Staufer wieder früntli grüesse, Und bim Nettli wieder stoh. 1 Die Orang-Utans (Pongo) sind eine Primatengattung aus der Familie der Menschenaffen (Hominidae). Von den anderen Menschenaffen unterscheiden sie sich durch ihr rotbraunes Fell und durch ihren stärker an eine baumbewohnende Lebensweise angepassten Körperbau. Sie leben auf den südostasiatischen Inseln Sumatra und Borneo; die Bestände beider Inseln werden heute als drei getrennte Arten geführt: Borneo-Orang-Utan (Pongo pygmaeus), Sumatra-Orang-Utan (Pongo abelii) und der neu entdeckte Tapanuli-Orang-Utan (Pongo tapanuliensis). Orang-Utans – Wikipedia
Museum Brittnau Chronik Stephan Kunz-Suter, 1823-1888 6 | 43 5. Möchte die Lieder wieder ghöre, Die si alle gsunge hend, Wenn im Dorf die Männerchöre Singe bis si ume sind. 6. Möchte die Glogge wieder ghöre, Die dem Staufner z’Chile rüeft; Möchte der Wächter wieder ghöre Wenn er elf und zwölfe rüeft. 7. Herz mis Herz i Gottes Name, S’ist es Lide, schick di dri, Denn der Herr Gott hets so wele, Dass i ietz de heime sig ---------------------------------------------------------------------------------- (B2_T1_S.009 - 010) 6. S Blümlein mi 1. I han es ordligs Blüemeli gseh, Es Blüemeli rot und wiiss, Und chan i nit bim Blüemeili si So tuet mer’s Herz gar weh. O Blüemeli mi, o Blüemeli mi I möchte gern bider si. 2. O chönnt i bi mim Blüemeil si No viele Johr wie hüt I sung gschwind eis a jutzgete Und schwige tät i nid. O Blüemeli mi, o Blüemeli mi I möchte gern bider si. 3. Ihr kennet jo das Blüemeli ned Git nume n eis e so. Und gern tue – n – i gar mänge Tritt Bis i ch binem Stoh. O Blüemeli mi, o Blüemeli mi I möchte gern bider si. 4. Das Blüemeli blüht, ach nit für mi, J darfs nit brecjen ab. Es muess e riche Kerle si Das schmerzt mi drum so grüseli. O Blüemeli mi, o Blüemeli mi I möchte gern bider si.
Museum Brittnau Chronik Stephan Kunz-Suter, 1823-1888 7 | 43 5. Wenn i das Blüemeli brechen dörft So würde gsond mis Herz; Doch brechen ach darf i di nid. Ach heile meinen Schmerz. O Blüemeli mi, o Blüemeli mi I möchte gern bider si. 6. Und wenn es gar nie mine wird, So stirben i vor Gram. Und minr ach, wird es jo nid I bin ihm viel zu arm O Blüemeli mi, o Blüemeli mi I möchte gern bider si. ---------------------------------------------------------------------------------- (B2_T1_S.010 - 014) 7. Der Brand in Aarburg In der Nacht vom 3. / 4. Mai 1840. Die Aare rauscht gewaltig und schwärzer wird die Nacht Die Sterne blinken freundlich in hoher Himmelspracht. Und überall herrscht Stille, man hört kein Leben mehr. Kein Singen und kein Jauchzen tönt aus der Ferne her. Zur Krone nur und Bären zu Aarburg an der Aar, Tanzt noch bei frohem Spiele manch junges schönes Paar. Das eine tut sich brüsten bei Fleisch und kühlem Wein. Ein Andres will das Flinkste im Saal beim Tanzen sein. Schon schlummerten die Alten die Jungen schwelgten lang Bis tönt ein gellend Rufen das Wiggertal entlang. „Nehmt Eimer, Hacken, Spritzen in grösster Eil hervor: Es brenne ja drei Scheunen am nahen Oltner-Tor!“ Und ängstlich ruft die Glocke die Nachbarhilf herbei. Der Jubel ist verstummet, er wich dem Klaggeschrei. Und alles will entrinnen des Feuers grimmigen Zarus, Denn rot sind schon die Felsen des Schlosses und des barus. Noch wehen scharfe Winde das Städtlein in den Brand Der nicht mehr ist zu löschen durch eine Menschenhand.
Museum Brittnau Chronik Stephan Kunz-Suter, 1823-1888 8 | 43 Denn für ein Meer von Flammen ist Menschenhand zu schwach. Sie sengen alles spottend in Zimmer und Gemach. Der Vater sucht die Seinen zu retten aus dem Haus, Dort jammern Greis und Kinder. „O helft uns heraus.“ Auch in den Nachbardörfern heult schriller Glockenschall, Und kräftig hallt von Bergen Kanonen- Wiederhall. Nun brechen kühne Männer durchs Feuer mutvoll Bahn. Begleitet von den Spritzen zum Feuerpfuhl heran. Doch schweifen ihre Strahlen vergebens in das Rot. Es steigert sich die Hitze und grösser wird die Not. Der Stern Schimmer schwindet, des Himmels blau wird Glut Die Flamme schweift in wilder und unzähmbarer Wut. Und ihre Zungen leckten mit Raubgier an dem Schloss. Der Sträfling jammert heftig es heult der ganze Tross. Schon mancher Balken brannte sogar ein ganzes Haus, Noch ward zur rechten Stunde gelöscht das Feuer aus. Doch schürrt es wieder weiter der schonungslose Sturm. Bis ein verdächtig Flämmchen glimmt an dem erhöhten Turm. Er gleicht einer Esse, er glühet, schmelzt und kracht. Davon wird stets erleuchtet gar schauerlich die Nacht. Noch sterbend schlägt die Glocken zum letzten Mal die Stund, Dann sinkt sie jammernd unter in der Vernichtung Schlund. Der Zeiger zeigt die Ziffer wo unheilvoll die Nacht Der Regsamkeit des Pendels ein schrecklich Ende macht Der Tag fängt an zu grauen, der Arm der Löscher nicht, Denn Gott hat ein Erbarmen und Dämpft die heisse Glut. Es ward ein Raub der Flammen der Turm, das Gotteshaus. Das Städtlein auch liegt öde, es liegt in Schutt und Graus. ----------------------------------------------------------------------------------
Museum Brittnau Chronik Stephan Kunz-Suter, 1823-1888 9 | 43 (B2_T1_S.015 - 017) 8. Der Satz als Brautentführer Eine Erzählung aus dem Leben des „Bleikerjokeb“. 1853. 1. Dass oft die Spatzen Kirschen naschen, Das ist noch nichts so schlimm und arg, Als wenn sie nach den Bräuten haschen, Die man in weichen Betten barg. 2. Unlängst starb einem reichen Bauer Die liebe Frau. Er weinte sehr. Doch bald vergass er seine Trauer, Und schielte wieder hin und her. 3. Nun wusste die Magd auch ihm zu schmeicheln, Mit Amuletten und Kaffee, Und ihm den grauen Bart zu streicheln, Auf seinen Bett und Kanapee. 4. Er aber kennt das Tuch der Schürze, Bringt drum ihr öfters einen Kram, Und wünscht, dass sie die Zeit ihm würze, Und auch verscheuch den alten Gram. 5. Nun las man ihm bald in den Augen, Dass er die Braut schon hat im Haus. Sie macht ihm gerne Sutz und Bangen. Drum ging er immer rüst’ger aus. 6. Das hat ein Spätzlein jetzt gewittert, Dass schon wieder etwas reif, Und wär das Fenster auch vergittert, Es fürchtete doch kein Gereif. 7. Der Bauer schaut am Sonntagmorgen. Durch runde Scheiben in das Gras. Umwölkt ist seine Stirn von Sorgen, Er wittert Spatzenrat durchs Glas. 8. Der Kaffee will mir heut nicht munden, weil ich im Garten Tritte sah; Auch hab ich dich untreu erfunden, Das heisst: der Spatz war heute Nacht da! 9. Das Spatzennest will ich vertreiben, Haus unter meinem eignen Dach. Drum kannst du bei mir nicht mehr bleiben,
Museum Brittnau Chronik Stephan Kunz-Suter, 1823-1888 10 | 43 Magst fluchen oder wimmern: Ach! 10. Er wollte sich lassen vozulieren, In unserer Kirche mit der Dam, Drauf tat ein Vogel sie entführen, Das heisst: Der Spatz wars, der sie nahm. 11. Drum du lieber Brautbewerber. Bewach dein Mädchen wie das Geld, Dieweil der Spatz der schlaue Sperber, Gar alles frisst in Haus und Feld. ---------------------------------------------------------------------------------- (B2_T1_S.018-020) 9. Der Blutegel Eine Erzählung aus dem Leben des „Madleinjoggeli“. 1. Ein Mann, der dürr und hager war, Lag auf dem Sterbebett. Er zählt viele lange Jahre, Und geizte um die Wette. 2. Er wollte vom Arzt nicht Medizin, So sehr er litt und ächtte; Er nahm nicht Speis noch Trank mehr hin; Er hungerte und lechzte. 3. So müsst ihr guten Leut nichts tun, Ihr müsst zum Doktor heute; Drum könnt ihr beide wieder ruhen, Ihr alten, armen Leute. 4. Sonst tut ich lange verharzt, bald bring ich euch die Kunde. Der Nachbar sprachs, und lief zum Arzt, Nach in derselben Stunde. 5. Mit Schweiss bedeckt kam er zurück, Und klopft. Mai schiebt den Riegel. Er giebt der Schwester einen blick, Und spricht: „Ich hab Blutegel!“ 6. Und ging. Es war stockfinstere Nacht, Und Nebel auf den Auen. Was sie mit den Blutegeln macht,
Museum Brittnau Chronik Stephan Kunz-Suter, 1823-1888 11 | 43 Will ich am Morgen schauen. 7. Die Schwester Mei mit leisem Tritt, Geht zu dem lieben Kranken: Hör lieber Bruder meine bitt, Und tu nicht lange wanken. 8. Der Nachbar bringt Blutegel her, Nun möchtest du mir warten. Geschwind mein Bruder, bitte sehr, Ob sieden oder braten? 9. „Ach liebe Schwester finde sie, Und mache recht viel Brühe, Ich habe Hunger wie noch nie, Nach ärger als die Kühe.“ 10. Der Arzt geniesst das Morgenbrot, Und ging nun: Notabene, Zu einem Mann in das Grod, Zu Joggeli Madleni. 11. Er geht ins Haus und findt den Mann, Gestreckt auf seinem Lager. Die Egel haben wie getan? Du Mann so alt und Hager? 12. Die Schwester hat sie gut gekocht, Und hatte viele Mühe. Ich hätte wahrlich mehr gemocht, Der Egel und der Brühe. 13. Der Arzt dreht sich wenig um, Fängt hell auf an zu lachen: „Hast Hunger du, so koch ein Huhn, Und lass dir Semmeln bachen.“ 14. „Die Egel sind zum Speisen nicht, Sie sind zum Blut aussaugen, Sie können nicht als ein Gericht, Zum Essen gar nicht taugen“. ----------------------------------------------------------------------------------
Museum Brittnau Chronik Stephan Kunz-Suter, 1823-1888 12 | 43 (B2_T1_S.021) 10. An den Männerchor November 1854 Brigitte weit, denn sie hat ausgesungen. Auch ihre Söhne Lieder sind verklungen; Der Liedersaal ist düster, öd und leer, Der Sänger geht vom Sturm gebeugt einher, Und nicht so bald wird er sein mattes Haupt erheben. Zum Opfer des Vereines abgelebtem Leben. Wo Adelsstolz und Bürgerdemut sich gesellen, Da beben sehr der morschen Eintracht Töne Wellen, Und lösen sich in giftgen Dunst und Nebel auf. ---------------------------------------------------------------------------------- (B2_T1_S.022-023) 11. Die Kostgänger 1. Willst du Kostgänger haben, So füttere nur Rind, Weil sie mit unsern Gaben, Auch stets zufrieden sind. 2. Hast du ein Mensch, ein Weber, So klagt er immerfort. Bald fehlt’s ihm an der Leber, Bald einem andern Ort. 3. Bald ist’s zuviel gesalzen, Bald ist es noch zu heiss, Zu wenig bald geschmalzen, Bald ist es das, bald dies. 4. Wenn‘s ihnen nicht tut schmecken, Sei’s gestern oder heut, Sei Kraut es oder Schnecken, So wissens alle Leut. 5. Drum halt ich‘s mit den Rindern, Sie sind so fromm und treu, Sollts mehren oder mindern, Sei Gras es oder Heu.
Museum Brittnau Chronik Stephan Kunz-Suter, 1823-1888 13 | 43 6. Drum willst Kostgänger haben, So füttere nur Rind, Weil sie zu unsere Gaben, Auch stets verschwiegen sind. ---------------------------------------------------------------------------------- (B2_T1_S.024-028) 12. Der Scheurberg 1. Ufem Schürberg. Da hani zerst d‘Sonne erblickt. Bevor es ist geschehen hit Liden Gott gschickt: Mi Ätti ist gstorbe no äbi bi gsi, Und’s Hüsli verbrunne, ach wärli gar gli. 2. O lebti no der Ätti, denn stiehnd au no s’Hus, Wenn i s’Hüsli no hätte, de wär i nid z’Hus. Kei Ätti, kesi Hüsli, Ach! niene deheim. Das duret mi wäger, ihr glaubets i keim. 3. Ufem Schürberg ists lustig, ufem Schürber ists schön: Da hört man am Morgen ein herrlich Getön. Im schattige Wäldchen, a sonniger Flue, Da singen die Vögel, ich juchze dezue. 4. So lit es schöns Güetli, do möchti gern si, Durf stoht no es Hüttli und ist es ou chli. So gits mer doch Scherme, wenns regnet und schneit, Und Schatte im Sommer, zur heissesten Zit. 5. Dankbar ergrünet mis väterlich Land, shet wärli nüt gschönet sit s’Hüttelis brand. Nur einzelne Bäume stöhnd trurig und leer, Sie konnten schön träumen, jetzt träumen si schwer. 6. Das Morgerot schint is beziten as Dach, Mi Frau und die Kinder sind munter und wach. Vergnüegt und im Friede göhnd Tage verbi, Der Nochbur ist gfällig wie’s ebe sell si. 7. Die befinderte Herde im bretternen Stall, Begrüsst den Morgen begrüsset das All. Empfängt dann das Futter aus schwieliger Hand. Mit munteren Schlägen geht’s lustig ufs Land. 8. Der Güggel ufem Sädel, und s’Geissli im Stall,
Museum Brittnau Chronik Stephan Kunz-Suter, 1823-1888 14 | 43 Lönd eim nüm Schlofe, s‘ist us mit der Wahl. – Am Morge da muess i is Dörfli, i d’Schuel. A mengem Ort heisst es: No Heirech ni spuel. 9. Deheime wirtschaftet mit flingger Hand d’Frau, Und gohni uf d’Rüti, so chunt begost au. – Wie bin i so glücklich, wie ist mer so Wohl, De Wache gönd ume, me merkts nid e mol. 10. Und chum i am Obe, vo der Arbet müed hei, So chöme die Kinder und hend mi am Bei: „Lieb Ätti chunst wieder? Wo bist du au gsi?“ Frogt s’Grösser, und s’Chliner, das chüsst mi e chli. 11. S Büebli i der Wiege, das lächlet mi a. Es cha no nüt säge, es macht was es cha. Und loht em Gott s’Läbe, so wird’s em scho cho, Ischt er emol jährig, so lost er lo goh. 12. Was mi das Alles erheiteret und freut, I chan echs nid säge, wär i no e so gscheit. E Frau und drü Kinder so treu und so gut. Das lost si nid Schätze mit Geld und mit Gut. 13. Drum Schürberg mi Lebe, drum Schürberg mi Welt. Dich cha i nid gebe um Gut, nicht und Geld. Drum lieb Gott im Himmel behüet mer das Dach, Behüet mer die Mine, behüet mer mi Sach. ---------------------------------------------------------------------------------- (B2_T1_S.029-032) 13. Die Ärnte. 1856 1. Die Frucht ist reif, so schallt es laut, So hallts von Mund zu Mund, Und der, der einen Acker baut, Tuts fröhlich allene kund. 2. Es freut sich aller Welt darob, Der Arm und auch der Reich. Aus beider Mund erschallt: Gottlob, Nun sind wir wieder reich. 3. Die Seufzer haben aufgehört, Es ist nun Alles satt. Dem Hunger wird jetzt und gewehrt, Da Alles Brot nun hat.
Museum Brittnau Chronik Stephan Kunz-Suter, 1823-1888 15 | 43 4. Bevor die Sonn erhellt die Luft, Und schaut ins Gemach, So steht der Bauer auf, und ruft; „Ihr Schnitter auf! Seid wach!“ 5. bis 9. Fehlen! 10. Der Fuhrmann treibt das Zugtier an, Er rufet: „Hüst und Hott!“ Geschickt führt er sie auf der Bahn, Umwerfen ist ein Spott. 11. Die Bäuerin backt am Feuerherd, Viel Küchli, sind‘s auch Speck. Die Schnitter halt sie lieb und wert, Füllt ihnen noch die Säck. 12. Die Bindebeitel steckt ins Dach, Das Essen ist bereit, Und kommt ihr Schnitter ins Gemach, S ist Sichellässen heut! 13. Beim Armen geht’s noch lust’ger zu, Bei ihm hats noch mehr Eil. Er hatte Hunger und Durst, dazu, Nach Brot sehr Langeweil. 14. Am Morgen früh da Dengelt er, Die Sichel dünn und scharf. Der goldnen Halm fällt kornesschwer, Er schneidet was er darf. 15. Die Garben trägt er in die Tenne, Und schwingt den Flegel hoch. Flugs geht er in die Mühle, dann Heut gibt’s Kuchen noch. 16. Um Elf Uhr kommt er schon zurück, Mit einem Sacke Mehl. „Die Mulde her im Augenblick!“ An Holz es auch nicht fehl. 17. Zuerst gibt’s Wäien Bänke voll, Und Brot was’s geben mag. Er freut sich sehr Ihm ists so wohl. Isst Waien was er mag.
Museum Brittnau Chronik Stephan Kunz-Suter, 1823-1888 16 | 43 ---------------------------------------------------------------------------------- (B2_T1_S.030) Fortsetzung von Seite ???? 1855 Jakob Gerhard, „Gehretschniders“. Womit man Sündiget wird man gestraft. Er zündete am östlichen Abhang des Kilchberges den Wald an, um wieder in die Strafanstalt zu kommen, aus der er kurz vorher entlassen worden war. 1851 Bernhard Gerhard wird Lehrer an der untern Schule Brittnau. 1728 Gerhard, Simeon, Grichtsäss. ---------------------------------------------------------------------------------- (B2_T1_S.033-036) 14. Zur Installation eines Lehrers Die Schule 1. Meiner Kinder heisse Tränen, Meine eigne Traurigkeit, Unser beider heisses Sehnen, Nach der Frohen seligen Zeit. – Ach ein Lehrer fehlt uns beiden, Lass, o Herr! uns nicht so leiden, Schenk uns einen weisen Mann, Der die Kinder lehren kann. Der Lehrer 2. Sei gegrüsst vor allen Schönen! Freudig folg ich deinem Wink. Aus der Zahl von vielen Söhnen, Ich in deine Arme sink! Eifrig such ich deine Liebe, Durch des guten Geistes Triebe. Würdig möchte ich deiner sein, Und mich deiner Wohlfahrt freuen. Die Schule 3. Segnend schau ich dir entgegen, Grüsse dich mit frohem Blick. Von den angebahnten Wegen, Weiche Teurer nie zurück. Willst du meiner würdig werden: Weide weise meine Heerden, Dass sie treu an deiner Hand,
Museum Brittnau Chronik Stephan Kunz-Suter, 1823-1888 17 | 43 Wollen hinein ins Vaterland. Der Lehrer 4. Ist die Gnade mir gegeben, Deiner Heerde Hirt zu sein, Dass sie treu im Christenorden, Meiden Tand und falschen Schein. O dann halt ich fromme die Hände: „Gib, o Herr! zu diesem Ende, Meinen Geist deine Kraft, Ach mich fromm und tugendhaft“. Die Schule 5. „Willst du in den heil‘gen Hallen, Und in Gottes Werkstatt sein, Suche Christum, nach zu wollen, Präg dir seine Lehre ein. Seiner darfst du dich nicht schämen, Sollst dein Kreuze auf dich nehmen, Beiden darfst du auch nicht scheun, Willst du Hirt und Lehrer sein“. Der Inspektor 6. Die Schule ist der Garten Eden, Wo die Unschuld Menschen hert, Doch wer folgt der Schlange Reden, Hat das Paradies verscherz. Möchten doch die jungen Herzen, Nicht das ew’ge Heil verscherzen; Tilge drum in Aller Brust, Jede unheilvolle Lust. 7. Drum willkommen, Gott geweihter. Sei gegrüsst, du lieber Mann. Gott mit dir! du Jugendleiter! Führe sie nur Himmelan. Unser Herr liebt alle Frommen, Heisst auch Kinder zu sich kommen, Denn das Himmelreich ist ihr! Das mein Sohn bedenke dir. 8. Von den Hirten ist der Beste, Jesus Christus, Gottes Sohn. Halt drum an ihn dich feste, Diene ihm, und nicht dem Lohn,
Museum Brittnau Chronik Stephan Kunz-Suter, 1823-1888 18 | 43 Sei kein Mietling an den Kleinen, Sollte auch der Wolf erscheinen; Wehre mit dem Hirtenstab, Wachsam jedes Unheil ab. 9. Sei wie er ist treu gewesen, Halte pünktlich deinen Schwur, Lehr sie in der Bibel lesen, Und im Buche der Natur. Lehr sie beten auch zu Gott, Und erfüllen sein Gebot. Auf dir wird der Heil’ge ruhn, An den Kindern Wunder tun. Der Lehrer 10. Ja das will ich alles halte, Was die Schule mir schreibt vor; Will getreu das Amt verwalten, Zu dem mich der Herr erkor. Sollen Farnen in dem Garten, Unter Rosen meiner warten, Will sie tragen mit Geduld, Kommen ja von Gottes Huld ---------------------------------------------------------------------------------- (B2_T1_S.037) Das Gebet der Kinder Lieblicher Gott und Vater mit freudigen Gemüte versammeln wir uns heute an dem geweihten Orte, um dir mit kindlicher Aufrichtigkeit zu danken für die Freude, die du uns heute bereitet hast. Ach noch vor wenig Tage waren wir in die tiefste Trauer gehüllt, denn wir haben unseren lieben und guten Lehrer durch den Tod verlassen. Ach wir waren arme Weisen, und der Ort von dem aus wir unzählig gute Lehren entgegen gewohnt waren, war leer. Jetzt aber tröstest du uns wieder, indem du uns einen Lehrer gibst. Gib dass wir ihm gehorchen und ihm mit unserem Fleiss Freude machen, dass er gesund und gerne bei uns bleibt. Dir aber lieber Vater sagen dank. Leite und segne uns mit deiner Gnadenhand, und führe uns nicht in das verheissene Himmelreich. Amen.
Museum Brittnau Chronik Stephan Kunz-Suter, 1823-1888 19 | 43 (B2_T1_S.038) 15. Aufmunterung zur Abhaltung eines Jugendfestes Der Mensch ist das vornehmste Geschöpf Gottes auf der Erde, und hat die Aufgabe das irdische Leben zur Vorbereitung auf das ewige zu verwenden, und zwar so, dass er, wie es jeder Mensch wünscht glückselig sei, oder wie Gellert sagt: „Lebe, wie du wenn du stirbst“. „Wünschen heisst gelebt zu haben“! Bei der Lösung dieser Aufgabe treten dem Menschen viele körperliche Schwachheiten hindernd in den Weg. Der eine vermag sie mehr, der Andere weniger zu überwinden. Die Schwachheiten sind teils wirkliche teils eingebildete Bedürfnisse. Kann der Mensch nun diese beiden befriedigen, so nennt er sich glücklich. (B2_T1_S.039) Sobald es ihm aber an irgendetwas gebricht, womit er auch nur ein eingebildetes Bedürfniss nicht befriedigen kann, nennt er sich unglücklich. Jeder Mensch will glücklich sein, und darin stimmt der Wille des Menschen mit dem Willen Gottes überein, wie Gellert sagt: „Gott will, wir sollen glücklich sein, drum gab er uns Gesetze …. Sie sind es, die das Herz erfreun, Sie sind des Lebens Schätze. Gott redt in uns durch den Verstand, Und spricht durch das Gewissen, Was wir, Geschöpfe seiner Hand Fliehen oder wählen müssen.“ Zur vollkommenen Glückseligkeit gehören einerseits ein tugendhafter Lebenswandel, und andererseits so viel irdische Güter als der Mensch unumgänglich notwendig hat.. Ohne Freude kann ich mir keine Glückseligkeit denken, und einen Menschen, der sich nicht (B2_T1_S.040) über irgendetwas freuen könnte wenn ich nur nichts vorstellen, denn jeder Genuss ist eine Freude. Und sie ist es, die das Gemüt erheitert, und den Menschen, der überstandenen Leiden vergessen macht. Dazu sind der Gegenstände so viele, dass wir dieselben nicht aufzählen in Stande sind. Da kommen uns entgegen die verschiedenen Formen, Farben und Grössen der Natur, und Kunstkörper, der Gesang der Vögel, der mannigfaltige Geschmack der Früchte, der balsamische Geruch und Duft der Blumen und Kräuter, die stärkende Ruhe nach vollbrachtem Tagwerk, und so weiter.
Museum Brittnau Chronik Stephan Kunz-Suter, 1823-1888 20 | 43 Die Freuden sind darum im Weitern auch verschieden und zahlreich, dass kein Sand, kein Alter und kein Geschlecht leer ausgeht, jeder kann wählen und zugreifen, Das Kind freut sich seines Vieles, der Vater am Gedeihen (B2_T1_S.041) seines Hauswesens, die Mutter der Gesundheit der Familie, der Geizhals hat Freude an seinem Gelde der Geschäftsmann am Berechnen der Vorteilen, der Kranke an der Linderung seiner Schmerzen und Wiedergenesung. Dann lasten sich die Freuden auch unterscheiden in zufälligen, natürlichen in zufällige, natürliche, und in künstliche oder bereitete. Zu den zufälligen Freuden gehören: Schöne Witterung während der Ärnte. Warmer Ofen in strengen Winter. Erquickender Schlaf nach der mühseligen Arbeit; und dergleichen. Zu den bereiteten Freuden sind zu zählen: Schmackhafte Speisen, köstliche Weine, unterhaltende Gesellschaft, Schlitten „und Chaisen“ Fahrten, Theater, Musik; und ähnliches. Die zufälligen Freuden kann jedermann geniessen, die bereiteten oder künstlichen Freuden geniesst der welcher Geld hat, denn Armen (B2_T1_S.042) bleiben sie zeitlebens fern und fremd, und nur die tagtäglichen Freuden glätten als wohlbekannte treue Freuden seien vor Sorgen gefurchte Stirn. Die Freude ist aber auch notwendig, denn sie wirkt wohltätig auf jeden Menschen, sie ist die Würze des Lebens, und eine notwendige, stärkende Speise der Seele. Die macht dem Armen das Leben erträglicher den Reichen wohltätiger, den griesgrämigen Alten söhnen sie wenigstens zum Teil mit der neuerungssüchtigen Welt aus, und die Jugend wird williger zur Arbeit, gehorsamer gegen ihre Eltern, dankbarer gegen ihre Wohltäter. Kurz gesagt, nehmt dem Menschen die Freuden weg, dann erscheint ihm die Welt eine schreckliche Öde zu sein. Verkürzt und versüsst selbst dem Gefangenen das zutrauliche Erscheinen einer Maus (B2_T1_S.043) oder Sinne die Zeit. Wollte man es aber bloss dem Zufall überlassen sich zu freuen, so würde der Eine bevorzugt, und der Andere vernachlässigt, und namentlich müssten die Kinder darunter leiden, weil mancher Vater immer an sich und selten an seine Kinder denkt. Solche Eltern leiden aber doppelt darunter. Es gibt Sprichwörter welche das erklären und sich schon oft bewährt haben: „Wie man in den Wald ruft, so tönt‘s wieder heraus“. und Wie die Alten sungen so singen auch die Jungen.
Museum Brittnau Chronik Stephan Kunz-Suter, 1823-1888 21 | 43 Wollt ihr Eltern eure grauen Haare nicht mit Herzeleid in die Grube tragen, so schafft ihnen Freude, erlaubte Freuden, sonst greifen sie zu unerlaubten, und diese gehören nicht immer zu den unsündlichen. Dann werden sie auch nicht zur Freude und zum Trost gereichen und euern Lebensabend erheitern. Lässt man die Jungend (B2_T1_S.044) aufwachsen ohne ihre absichtlich etwelche Freuden bereitet zu haben, so wird sie ihr lebenslang darum denken und sich mit Wehmut an die Freudenleere Jugendzeit erinnern. Die Entziehung einer Freude und eine unverdiente Strafe werden ein vergessen. Darum ihr Eltern, Lehrer und Behörden schafft eurer Jugend Freuden, und macht ihren Lebensfrühling wonnig, sie wird dankbar euren Lebensabend erheitern und euch über euern Grabhügeln segnen. Unter den Grüssen der Freuden ist noch hinzuzufügen, dass es mit Bescheidenheit geschehe, wie sich Hebel in seinen Gedichten ausdrückt: Bis mässig Mäntscheherz! Viel Süess macht neuen Schmerz; Denn lueg auch selbst der liebste Gott Schickt eim nit all Tag Zuckerbrot. Ne freud in Ehre Wer wills verwehren. In Ehren hani gseit, und i der Unschuldd Gleit, In Zucht und Sittsamkeit. (B2_T1_S.045) Verbindet man mehrere Genüsse mit einander, und hat dabei die Absicht irgendjemand, eine oder mehrere Personen durch Lobsprüche, Lieder oder Geschenke zu erfreuen, so entsteht ein Fest. Die Feste sind sehr mannigfaltig und verschieden, und richten sich immer nach dem Stand der Personen zu deren Ehren derselbe veranstaltet wird, es gibt: 1. Geburtstagsfeste 2. Namenstagfeste 3. Jugendfeste 4. Hochzeitsfeste 5. Kirchliche Feste 6. Vaterländische Feste 7. Gesangsfeste Die Gegenstände, welche zu den Freuden und Festen der Schule und der Jugend gehören sind: 1. Die Eröffnung der Schule 2. Die Zensuren der Schule 3. Die Repetititorien2 der Schule 2 Repetitorium (von lateinisch repetere: „wiederholen“) bedeutet die Wiederholung von Wissen und Kenntnissen, meist um eine Prüfung zu bestehen.
Museum Brittnau Chronik Stephan Kunz-Suter, 1823-1888 22 | 43 (B2_T1_S.046) 4. Die Schulprüfungen 5. Die Schulprämien 6. Die Schulzeugnisse 7. Die Schulferien 8. Zufällige Feierlichkeiten: a. Installation eines Lehrers b. Leichenbegräbnis c. Einweihung des Schulhauses d. Spaziergänge e. Andere zufällige Festlichkeiten, Neujahr, Ostern, Fastnacht, Weihnacht. Allmählich kommen die Schulfestlichkeiten in Abgang, darum ist es Pflicht eines Jeden, dem die Jugend am Herzen liegt, dieselbe durch ein fröhliches Jugendfest zu entschädigen. Die Bestandteile eines Jugendfestes sind folgende: 1. Die Vorbereitungen 2. Sammlung der Kinder im Schulhause zum festlichen Zug in die Kirche. 3. Der Gottesdienst. Der Herr Pfarrer oder ein Lehrer hält eine Ansprache an die Schuljugend und deren Eltern. (B2_T1_S.047) 4. Ein Spaziergang 5. Turnspiele 6. Bühnenspiele, deklamatieren. 7. Gesang und Tanz. 8. Waffenspiele. 9. Das Festmahl Die Grundsätze, welche bei der Feier eines Jugendfestes zu beobachten wären, sind folgende: 1. Es soll in allem einfach sein. Nicht zu viel Kränzen; nicht zu viel Prunk in Kleidern; das allfällige Schiessen nicht grossartig; das Essen soll aus wenig Gerichten bestehen, und billig sein. 2. Allen Kindern angemessen. Es soll dem Jüngeren und Älteren reichen und armen Kindern entsprechen. 3. Es soll den örtlichen Verhältnissen entsprechen. 4. Die Teilnahme soll allen möglich gemacht werden, den fernen wie den näheren. Bestimmung der Zeit nicht zu (B2_T1_S.048) frühe des Tages. Das Essen nicht zu köstlich. 5. Es soll nicht anders als unter dem Schutze der Lehrer gehalten werden, denn es ist ihre Pflicht beizuwohnen, ihnen sind die Kinder anvertraut, sie sind Amtes wegen ihre Wächter. Sie sollen daher von der Behörden oder Frauen nicht verdrängt werden. Auch gehört ihnen die Freude wie den Kindern.
Museum Brittnau Chronik Stephan Kunz-Suter, 1823-1888 23 | 43 6. Es solle allen Gefahren verhütet, überhaupt gute Ordnung gehalten werden. Übergänge über Bäche haben gute Stege, das Schiessen unkundige sollen keine Feuergewehre bekommen. Kein Kind soll sich berauschen. 7. Die Personen, welche die Aufsicht führen. Sollen freundlich, nicht mürrisch sein. Zum Schlusse hätten ich noch einige Gründe gegen das Jugendfest anführen sollen, ich finde aber keine stichhaltigen und kann es auch nicht billigen wenn Sachen wie zum Beispiel ein Jugendfest an (B2_T1_S.049) den Pranger gestellt wird. Alles in der Welt hat seine Licht „und Schattenseite“ also auch ein Jugendfest. Wie aber der Schatten dem Lichte weichen muss, also verschwinden auch die Nachtseiten bei umsichtiger Leitung. Ich überlasse es daher dem „Chümihans“ und dem „Joggeli Kupferaug“ gegen ein Jugendfest aufzutreten. Jugendfest: Programm 1864 1. Die Vorbereitungen vor dem Festtage. Kränzen und Zuschriften. 2. Um 12 Uhr Sammlung der Kinder im Schulhaus. 3. Um 1 Uhr Zug der Kinder nach den Geschlechtern geordnet unter Musik und Glockengeläut in die Kirche. 4. Musik in der Kirche; Gesellschaft. 5. Ein Gebet. Herr Pfarrer. 6. Ein Choral No. … 7. Ein Lied gesungen von Schulkinder-Chor. 8. Deklamation. Morgentaler. 9. Ein Lied von den Schulkindern. (B2_T1_S.050) 10. Festrede von Kunz. 11. Ein Lied von Schulkindern. 12. Eine Deklamation von Fritz Kunz, Mättenwil. 13. Ein Lied von den Schulkindern. 14. Choral. Chorgesang. 15. Gebet von Herr Pfarrer. 16. Musik 17. Zug aus der Kirche. Nach den Schulen geordnet unter ihrem Lehrer. 18. Festmahl. 1 Schoppen, Brot, Käse und Eier. 19. Tanz. (B2_T1_S.051) 16. Festrede Am Kinderfest in Brittnau 1864. Werte Anwesende! Liebe Kinder! Von dieser Gott geweihten Städte aus bin ich nicht gewohnt zu euch zu sprechen, sondern die Schule ist der Ort, an welchem ich zu euch spreche; und darum kann ich mich einer kleinen Unbefangenheit fast nicht erwehren, und mit Moses möchte ich ausrufen:
Museum Brittnau Chronik Stephan Kunz-Suter, 1823-1888 24 | 43 „Ach nein Herrn, ich bin von je und je nicht wohl beredet gewesen, sende welchen du willst!“ Da mir nun aber die Aufgabe geworden ist am heutigen Tage zu euch zu reden, so will ich beginnen. Wenn in allen christlichen Landen von den Kirchtürmen herab die Glocken erschallen und alle Gläubigen zur Kirche rufen, wenn alle Gewerbe ruhen und das Werktagsgeräusch verstummt ist, wenn (B2_T1_S.052) der Landmann statt auf den Acher zu gehen, dem Glockenrufe folgend im Festgewande andächtig zum Tempel wallt, und sich da für die Seele das tägliche Brot holt; wenn die Hausflur und sogar die Strasse noch gescheuert sind, und überall eine heilige feierliche Stille herrscht, so wissen wir, dass der erste Wochentag, der liebe Sonntag da ist. Wenn dann im ferneren die Sträucher grünen, die Bäume blühen, die Vögel auf den Zweigen ihren Gesang anstimmen, und sich alles neu belebt, so wissen wir, dass der liebe Frühling da ist. Dann öffnet sich der Freude jede Brust, und unsere Herzen sind erfüllt mit Freuden und Lust. Gott hat diese beiden erschaffen zur Erholung und Ruhe für Mensch und Vieh, wir auch zur Unterhaltung der menschlichen Seele mit Gott ihrem himmlischen Vater. Desthalben sind wir jeden Sonntag hier versammelt, um im gemeinsamen Gebete Gott (B2_T1_S.053) zu loben und zu preisen, ihm zu danken für Speis und Trank, Gesundhit und Leben, und jegliche Freude. Unerkennbar wirkt die Freude wohltätig auf jeden Menschen. Sie ist die Würze des Lebens, und der Freude ist der heutige Sonntag besonders bestimmt, denn wir feiern heute ein Fest. Wir feiern Feste, damit wir des Lebens Sorgen und Mühen vergessen, vergessen was hinter uns ist, und uns strecken nach dem das vor uns liegt. Die Feste sind zwar verschiedener Art, doch wenn wir unser Auge erheben, und die Anwesenden betrachten, so sehen wir Menschen von jedem Alter, und besonders eine grosse Schaar Kinder aus den sämtlichen Schulen der Gemeinde, das heutige Fest geschieht unsrer Jugend zu Ehren. Denn wir feiern heute das vierte Jugendfest. Beim Aufblicken der Kinder erinnern (B2_T1_S.054) wir uns an unsere Jugendzeit, die uns keine solche Freude brachte, darum nehmen wir mit umso grösserm Vergnügen an diesem Feste teil. Schon der Anblick der Jugend erweckt in uns eine selige Empfindung, wir freuen und an ihrem Gesange, an ihren munteren Spielen, an allen ihren Fähigkeiten und Kenntnissen. Ja mit nie empfundenen Gefühlen betrachten wir die gefunden festlich geschmückten Kinder. Und wem sollte das Herz nicht warm aufgehen beim Anblick derselben, beim Anblick unserer Nachkommenschaft. Wie wir schon vernommen, stehen wir jetzt an einem frühlings Sonntage in der Kirche. Könnte wir einen solchen würdigen und erhebender feiern als
Museum Brittnau Chronik Stephan Kunz-Suter, 1823-1888 25 | 43 durch ein Kinderfest, als an dem Feste, das wir zu Ehren des höchsten Geschenkes veranstaltet haben; und dennoch (B2_T1_S.055) gibt es noch manche, die den Wert eines solchen Tages verkennen. Wie manchem Kinde schleicht seine Jugendzeit leer und freudenlos dahin. Und einmal muss der Mensch Vergnügen haben! Wer will es leugnen. Leidet er nicht öffentliche, so greift er zu den Verborgenen, und diese gehören nicht immer zu den erlaubten und unsündlichen. Nehmt den Kindern alle Spiele und jedes Vergnügen und gebt ihnen dafür nichts, sie werden euch wenig Dank dafür wissen. Darum soll das heutige Fest allen zugänglich sein, und darum wird es auch auf bescheidener Stufe gehalten. Alle mögen sich heute freuen: Das Arme wie das Reiche, die Weisen wie das Elternkind. Desshalben werden auch alle den heutigen Tag in dankbarem Andenken behalten. Wie öde und traurig würde es in euren Stuben aussehen, wenn euch diese herrliche Gottesgabe fehlen würde, darum sei der (B2_T1_S.056) heutige Tag auch den Erwachsenen und Eltern dieser Kinder wertvoll und von Segen. Nach öder und trauriger sieht es aus, wenn Kinder ihren Eltern nicht gehorchen, und ihnen nur Herzeleid verursachen, darum möchte ich allen zurufen: Ziehet eure Kinder auch in der Zucht und Vermahnung zum Herrn. Das Jugendfest ist nicht nur eine Freude für Eltern und Kinder, sondern auch für die ganze Gemeinde. Wie oft geschehen Handlungen, die einer Ortschaft weder zum Ruhen noch zur Ehre gereichen, dass aber in Brittnau der Sinn für das Schöne noch nicht ausgestorben ist, beweisen wir heute durch dieses Fest. Darum ist es auch eine Freude, dass so viele Personen uns von ganzem Herzen, und danken für den schönen Tag. Möge er nur langsam und ohne Unfall (B2_T1_S.057) verschwinden, vergessen wird er nicht. Doch auch euch verehrteste Wohltäter und Vorsteher sei Dank. Im Namen der sämtlichen Kinder spreche ich es aus. Möge auch euch dieser Tag Freude und Vergnügen gewähren. So wollen wir denn noch der beendigten kirchlichen Feier ausziehen in Gottes herrliche Natur. Ausziehen aus dem Tempel den uns unser Voreltern vor mehr als 200 Jahren erbaut haben, und einziehen i den Tempel den uns Gott gebaut hat. Ziehen unter das Gewölbe der grünenden Bäume auf dem Albis. Möge uns Gott den Tag in ungestörter Freude verleben lassen, da mit der Eindruck desselben in dankbarer Erinnerung bleibe. ______________________________________________________
Museum Brittnau Chronik Stephan Kunz-Suter, 1823-1888 26 | 43 Gedichte (B2_T1_S.058-060) 17. Der bös Bueb Nach der Erzählung im I. Lesebuch, Seite 58. 1. J me ne Hus noch a der Stross Wohnt einist Marti Meisterlos. Er war ein böser, böser Bueb. Meints nid mit Tier no Mönsche guet. 2. De Gschwüsterte tut er stets zleid, und Tierli plage ist si Freud. D‘ Vögeli z’martere in erem Näst Das hält er für ein Jugendfest. 3. Mengs mol het d Mueter ehn igsperrt, und ihm sie wüestes Lebe gwehrt: „Du lose Purst, denk nur an mi, der lieb Gott wird no strafe di.“ 4. Au d‘ Ruete het ihn mängisch pfitzt, doch het kei Zuespruch öppis gnützt. Denn statt am Sundig z Chile z’goh, Ist er de Vogelnester noch. (B2_T1_S.059 5. Emol, bist ame Sundig gsi – : „Gell Marti! Hüt wollst folgsam si? Los d’Glogge lütet: bim! bam! bum! Jetz wemmer z’Chile, Marti chum!“ 6. Am z’Chile goh het er ke Freud. Er goht i Wald im Sundigchleid. Er springt dervo was gist was d’hest, Und findet es grosses Vogelnest. 7. Er chläderet uff die Tannen ue. Sind Vögel drinn, lue Marti lue. Zum Näst wirft er die Vögel us. Die Alte chöme jetz nach Huus. 8. Verchratze n ihm mit grossem Gschrei, Sis Gsicht, und d’Händ, und beide Bei. Voll Schräcke vo dem Missgeschick, Fallt abe n er, und bricht das Gnick.
Museum Brittnau Chronik Stephan Kunz-Suter, 1823-1888 27 | 43 9. Am Mändig goht e Ma i Wald, Und findet den Marti: stif und chalt. Die Vögel liggen uffem Moos, Und nebne zue Hrerr Meisterlos. (B2_T1_S.060) 10. Wer guete Lehre nit git G’hör, Nid z’chile goht und z Chinderlehr, Wird gstroft wie selbe Mueter gseit, Und zitli scho is Grab ie gheit. ______________________________________________________ (B2_T1_S.060) 18. Zum neuen Jahr. Gelobt sei Gott am Jahresschluss, Und Anfang eines neuen. Euch bring ich meinen warmen Gruss, Das mög Euch hoch erfreuen. Habt mich geliebt vom Kinde an, Bis heute so viel Gut’s gethan, Das woll der Herr euch lohnen, Der Friede Gottes sei mit euch, Er lass euch nicht den Engeln gleich, Im höchsten Himmel wohnen. ______________________________________________________
Museum Brittnau Chronik Stephan Kunz-Suter, 1823-1888 28 | 43 (B2_T1_S.061-077) 19. Der Brand in Glarus3. 1. Wo steht der kahle Glärnisch, und finstern Blicks der Schilt; Die Linth mit schnellen Schritten, dem Tödiberg entquillt; Des Karpfen weisse Kuppe, erstarrt zum Himmel ragt; Das Kräutlein an der Wiggis, im Winterhauche zittern zagt. 2. Wo Fridolin, der Heilge, die Menschen hat erbaut; Hilarius Kapelle, ins Land hinaus geschaut; Da steht der Flecken Glarus, in einem engen Tal. Die Schindeldächer decken, hier noch der meisten Häuser Zahl. (B2_T1_S.062) 3. Im Süden ist geschlossen, das enge Tal der Linth; Im Norden aber offen, de kalten Nordenwind. Dazu ist es erhaben, voll Unheil und Gefahr, Und bietet sich dem Fremden, unwohnlich und abschreckend dar. 3 Der Brand von Glarus in der Nacht vom 10. auf den 11. Mai 1861 gehörte zu den grössten Brandkatastrophen des 19. Jahrhunderts in der Schweiz. Zwei Drittel des Kantonshauptortes Glarus wurden dabei zerstört, die Hälfte (47 %) der Einwohner wurden obdachlos. Verlauf und Folgen: Das Feuer brach nach halb zehn Uhr abends in einer Scheune neben dem Haus von Ratsherr Christoph Tschudi auf dem Landsgemeindeplatz aus und breitete sich wegen des Föhns schnell Richtung Norden aus. Die meisten Bewohner waren noch wach, als das Feuer ausbrach, und konnten sich retten. In der Brandnacht kamen zirka acht bis zehn Personen ums Leben, doch starben einige noch später an den Folgen von Brandvergiftungen. Die genaue Zahl der Todesopfer ist unbekannt. Zu diesen gehörte auch Kriminalgerichtspräsident und Nationalrat Johannes Trümpi mit seiner Familie. Die Brandkatastrophe wurde zum Medienereignis. Die grossen Zeitungen selbst im Ausland berichteten darüber. Brandursache: Die Ursache des Brandes wurde nie geklärt. Die Rede war von einem im Stall deponierten Bügeleisen, zudem wurde ein betrunkener Mann verdächtigt, der sich Pfeife rauchend in der Nähe des Gebäudes aufgehalten haben soll. Beide Versionen erwiesen sich jedoch als nicht stichhaltig. Vermutete Brandstiftung: Neuste Forschungen weisen auf mögliche Brandstiftung hin. Brand von Glarus – Wikipedia
Museum Brittnau Chronik Stephan Kunz-Suter, 1823-1888 29 | 43 4. Ein unterird’sches Feuer, stöhrt oft die Ruh der Nacht; Da es die Erd erschüttert, mit ungestümer Macht. Auch Winde und Erdschlipfe, und Schnee und Wassernot; Das Alles brachte Vielen Gewaltsam den frühen Tod. 5. Felsstücke und Lawinen, verheeren oft das Land; Und wilde Wasserfluten, durchwühlen hier den Sand. Gefahrvoll und verderblich, wird sonderlich der Föhn (B2_T1_S.063) Sein Grimm zerstört plötzlich, die Häuser hier so nett und schön. 6. Wohl drohen Riesenberge, des Landmans regen Fleiss; Zernichten seine Früchte, des Angesichtes Schweiss; Doch ward aus wilden Jahren, ein kleines Paradies, Dass jeder kindlich weinte, wenn er die Heimat je verliess. 7. An einem schönen Tage, Am Auffahrtstag des Herrn; Da strömten Väter, Mütter, von Nahe und von Fern. Des Landes schmucke Knaben, und Töchter fromm und frei, denn heute wird gehalten, der Glarnerväter Landgemein. 8. Da tragen sie die Männer, Am Landsgemeindeplatz; Und wollten milder stimmen, den Feurbestimmungssatz. (B2_T1_S.064) Doch das fand keine Gnade, man hält am Väterwort, Denn oft schon hat zerstöret, die Flammen diesen schönen Ort.
Museum Brittnau Chronik Stephan Kunz-Suter, 1823-1888 30 | 43 9. Und wie sie da so tagen, da fährt ein Wagen, schaut. Ein Herr im Festgewande, der gestern sich getraudt. Beim Ochsen will er halten, er hebt die Braut heraus, Und eine Menge Volkes umsteht gaffend dieses Haus. 10. Aus Schenken und Bierhäusern, scholl Jubel und Gesang; Ja frohe Lieder mischten, sich ein in Becherklang. Der Vater herzt die Kinder, der Jüngling grüsst die Maid; Es freun sich alle herzlich, der herrlich schönen Frühlingszeit. (B2_T1_S.065) 11. Der schöne Hauptert strahlte, so recht in Freud und Lust. Ja Freude, Lust und Wonne, beseelte jeder Brust. Die ländlichen Bewohner, besuchten jeden Schilt, Und auch den Kaufmannsläden, die vielgeschätzte Ehre gilt. 12. Der Tag ist nun zu Ende, man geht der Heimat zu, Und auch der Herr im Ochsen, legt sich zur süssen Ruh. In jedem Schilt und Schenke, verstummet Sang und Lied; Und süsser Schlummer stärkt, dem müden Wanderer jedes Glied. 13. Der Auffahrtstag des Herren, Der schöne Feiertag; Ist wohl für lange Zeiten, Der letzte Freudentag. Nur diese Nacht ward Glarus, Vergönnt die süsste Ruh. (B2_T1_S.066) In dieser Nacht schliesst mancher, zum letzten Mal die Haustür zu.
Museum Brittnau Chronik Stephan Kunz-Suter, 1823-1888 31 | 43 14. Am Freitag ging ein jeder, froh den Geschäften nach: Der Eint in Schieferbrüchen, der Andere auf das Dach. Hier gräbt man nach den Wurzeln, und sammelt Kräutertee; Der Jäger lädt die Büchse, und schiesst die Gämse und das Reh. 15. Im Haus des Ratsherrn Tschudi, am Platz der Landsgemein; Wird von der Magd geglättet, die Wäsche weiss und rein. Im Holzschopf wird gefalpet, man riecht auch Tabakrauch, das ist an solchen Orten, ein unbedacht fataler Brauch. 16. Es wollt der Gast, der Fremde, noch heut nach Ennenda, (B2_T1_S.067) Nun zwang es ihn zu bleiben, als er den Wagner sah; Denn der war ja gebrochen, ein Brett hat sich gelöst; Der Herr von seinem Gelde, bis auf wenig Frans entblösst. 17. Der biedere Sinn der Glarner, schafft ihm sein Geld zurück, Der Wagner doch nicht fertig, in einem Auge blind. Er muss sich noch bequemen, in Glarus diese Nacht. Doch Morgen will er weiter, sobald die Sonn am Himmel lacht. 18. Der Tag war nun zu Ende, Herangenaht die Nacht; Die Mütter haben Kinder, zu Bette erst gebracht. Und vor der Hütte sitzend, die Tonpfeif in dem Mund; Tun Männer sich erlabend, wohl manche frohe Mähre kund.
Museum Brittnau Chronik Stephan Kunz-Suter, 1823-1888 32 | 43 (B2_T1_S.068) 19. Urplötzlich schwenkt die Bürger, der Feuerruf: „Es brennt!“ Und wirr durch alle Strassen, man hie zur Stätte rennt. Vom Kirchturm macht die Glocke, die grosse Not bekannt. Und mahnt zur schnellen Hilfe, die Löschmannschaft im ganzen Land. 20. Im Nu war alles fertig, zum Löschen hilfbereit; Mit Haken und mit Eimern, zog man in heissen Streit. Doch auch der Föhn der grimme, war schleunig bei der Hand; Vom Holzschopf bis zum Schwanen, war alles schon in lichten Brand. 21. Die Schindeldächer standen, In Flammen lichterloh; Entsetzlich lodern alle, als wären sie von Stroh. Des Blumers Haus, des Hauptmanns, schützt wohl noch und hält Stand; (B2_T1_S.069) Doch also nicht die Häuser, am Tschudiraine und am Sand. 22. Das Gartenhaus am Raine, das dient als Schwefelholz; Dass auch der nördliche Flecken, vom Feuergrimme schmolz. In einer halben Stunde, stand nun der ganze Ort; In lichterlohen Flammen, vom Rain bis zum fernen Posrt. 23. Die eigne Gefahr nicht ahnend, rennt alles auf den Schrei; Arbeitet, sucht und rettet, trägt Wasser auch herbei. Und mancher ruft voll Schrecken, ein schmerzlich: „Weh und Ach!“ Das Feuer hat ergriffen, daheim auch unser Wohnlich Dach.
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